Abéni war meine Berufung

02. Februar 2016

Im Gespräch mit Hildegard Humpert

Hildegard Humpert, pensionierte Lufthanseatin, Gründungsmitglied der help alliance und engagierte Projektleiterin des Abèni Projekts in Benin erzählt in unserem Gespräch über ihr Projekt.

Was hast du bei Lufthansa gemacht?

Ich habe 1971 bei Lufthansa begonnen im Lufthansa Stadtbüro in Bonn. Damals waren wir unter anderem für die Reisen der Bundesregierung aber auch für die Betreuung anderer Kunden und Kundenbeziehungen zuständig. Als 1996 das Büro schloss siedelte der Passageverkauf in die Hauptverwaltung nach Köln-Deutz um. Nachdem auch die Hauptverwaltung im Jahr 2007 in ein anderes Gebäude umzog, wurde die Passage wieder ausgegliedert und ich arbeitete bis zum Eintritt in den passiven Teil der Altersteilzeit noch 3 Monate in einem Büro in Köln-Ehrenfeld.

Wie kamst du zu deinem Projekt?

Es begann 1989 im Stadtbüro in Bonn. Ich bekam einen Anruf der Caritas Bonn, dass bei ihnen ein junger Mann aus Benin säße, dem man sein Rückflugticket, sein Geld und sein Pass geklaut hatte. Sie fragten, ob wir ihm helfen könnten. Dieser Mann saß wenig später bei mir und er erzählte mir, dass er zusammen mit einem Freund unterwegs gewesen sei und gemeinsam wollten sie die große weite Welt sehen. Im Zug von Paris nach Deutschland ist ihm dann seine Tasche mit allen Dokumenten und dem Geld gestohlen worden. Ich versuchte, das Problem für ihn zu klären. Ich schickte Telexe zur Air Afrique nach Cotonou in Benin. Doch die Auskunft war, dass sein Hin- und Rückflugschein billiger gewesen war als das one-way ticket und somit konnten sie keinen Ersatzflugschein ausstellen. Ich teilte ihm mit, dass es leider unmöglich sei und es nichts gäbe, wie ich ihm helfen könnte. Dennoch rief er immer wieder bei mir im Büro an und bat um Hilfe. Nachdem ich ihm mehrmals gesagt hatte, dass ich ihm nicht helfen konnte, entwickelte sich dennoch über einige Zeit bei uns eine Freundschaft. Noua Dhyne Moustapha blieb längere Zeit in Deutschland und kehrte erst wieder nach Benin zurück als sein Vater starb und er den Platz als Familienoberhaupt einnehmen musste.

1993 besuchte ich ihn dann das erste Mal in Benin. Ich hätte mir nie vorstellen können, was mich da erwartete. Gemeinsam mit Dhyne fuhr ich in einem voll gestopften Sammeltaxi die fast 500 km von der Hauptstadt Cotonou nach Djougou im Norden von Benin. Es war die Hölle.

„Keine Erwachsenen, kein Geld, aber trotzdem viel Lebensfreude“

In Djougou traf ich dann auch erstmals die heutige Leiterin des Schneiderateliers. Ich war schockiert und überrascht zugleich von dem was ich dort sah. Mit ihren 18 Jahren kümmerte sich Nadyath um ein Dutzend Kinder und Heranwachsende. Keine Erwachsenen, kein Geld, aber trotzdem viel Lebensfreude.

Dort lernte ich dann auch Abèni kennen, die Tochter von Dhyne. Ihre Mutter lebte mit einem anderen Mann in Togo, und da die 7 jährige Abèni an der unheilbaren Sichelzellenanämie litt, hatte sie sie in die Familie des Vaters abgeschoben. Bei Dhyne lebte auch noch die 3-jährige Tochter seiner Halbschwester, die ebenfalls ihr Kind dort zurückgelassen hatte. Als die beiden Mädchen mich kennenlernten nannten sie mich sofort Mama.

Für mich war sofort klar: Ich wollte helfen. So begann meine Berufung. Über die nächsten Jahre schickte ich alles, was ich nur konnte dorthin: Autos vollgepackt mit Kleidung, Küchengeräten, Kühlschränken, Kleinmöbel, sogar Sanitäreinrichtungen (vom Sperrmüll gesammelt) etc. Es fehlte an allem, denn niemand in der Familie hatte ein richtiges Einkommen. Heute würde man das sicher nicht mehr so machen. Aber damals hat es mich viel Kraft gekostet und auch viel Geld. Ich bin heilfroh, dass die Entwicklung das heute anders sieht, denn energiemäßig würde ich das heute nicht mehr hinkriegen.

Als ich dann 1998 im Lufthanseaten den Aufruf las, in dem gefragt wurde, wer sich sozial engagiert, meldete ich mich und gründete dann gemeinsam mit den anderen 1999 den HelpAlliance e.V.

Im Januar 1999 starb Abèni im Alter von 14 Jahren. Es hatte keine Chance gegeben, das Mädchen noch zu retten. Das war für mich der Beginn, um mich auch außerhalb der Familie in Djougou sozial zu engagieren. Im überschaubaren Rahmen boten wir für ein Dutzend bedürftiger Kinder Hilfe an. Ein engagierter Lehrer betreute diese Kinder an den Nachmittagen und half ihnen bei den Schulaufgaben. Zur Einkommensicherung der Familie bauten wir ein kleines Restaurant, das auch die 12 Kindern mit einer warmen Mahlzeit pro Tag versorgte.

Bei der Nachhilfe sprangen die Jungs nach und nach ab und nur die Mädchen blieben, daher entschlossen wir uns, das Projekt auf Mädchen auszurichten.

Nach und nach kamen immer mehr Mädchen in das Projekt, so dass die Räume zur Betreuung nicht mehr ausreichten und wir ein Halbinternat oder boarding house bauen mussten.

Was war die größte Herausforderung für dich?

Eindeutig der Bau des Boarding House. Das Gebäude wurde teurer als erwartet. Ich hatte den Antrag bei der help alliance über die Höhe des Kostenvoranschlages gestellt und plötzlich wurde alles teurer: Zement, Stahl, Benzin, Arbeitskräfte… Jeder wollte mehr Geld haben. Das hieß für mich, ich musste zur Berichterstattung nach Frankfurt zur help alliance. Ich war so nervös und es war mir so peinlich. Ich konnte kaum noch schlafen, sah ich doch mein Vorhaben scheitern. Was hatte ich denn schon für Argumente, außer, dass alles teurer geworden war?

Leider gibt es auch vor Ort in Benin immer mal wieder Probleme. Sei es, dass Mädchen Unruhe stiften und andere anstacheln, dieses und jenes zu verlangen, da die „Weißen“ ja reich sind. Ein anderes Problem war eine Zwangsverheiratung einer unserer Projektteilnehmerinnen. Mouina wurde von ihrer Mutter für ein bisschen Geld einem Mann als Zweit- oder Drittfrau versprochen. Solche Abmachungen sind bindend, und wir haben alles versucht, sie vor diesem Schicksal zu bewahren. Leider ohne Erfolg. Auch frühe Schwangerschaften waren ein Problem. Wir entschlossen uns deshalb damals das Boarding House zu bauen, um eine bessere Kontrolle über die Mädchen zu gewinnen. Dhyne, der das Projekt nun vor Ort leitet, hat ganz strikte Regeln und einen genauen Tagesablauf für die Mädchen erstellt.

Trotz einiger Rückschläge und der Tatsache, dass einige Mädchen, nicht bis zum Ende der Ausbildung dabei geblieben sind, kann ich als Fazit sagen, dass sie bis dahin eine super Erziehung und Bildung genossen haben. Sie haben dadurch ein ganz anderes Selbstbewusstsein und können sich als Frauen in einer männlich dominierten Gesellschaft besser behaupten.

Und was war das Schönste, was du erlebt hast?

Die Einweihungsfeier des Boarding House im Jahr 2012 und das Abschlussfest des ersten Schneiderinnenlehrgangs im April 2014 waren eine großartige Bestätigung für unsere Arbeit.

Auch immer schön ist, wenn Mädchen den Abschluss oder das Abitur schaffen, bestenfalls sogar im ersten Anlauf.

Dass Rafiath am 24. Dezember 2014 ihren Bachelor in Wirtschaftsinformatik absolviert hat war ein schönes Weihnachtsgeschenk und hat alle im Projekt stolz gemacht.

Wenn du ein Fazit über die letzten 17 Jahre ziehen würdest, wie sähe dieses aus?

Mein Projekt hat mittlerweile eine wirklich gute Ruf und es gibt eine lange Warteliste von Mädchen, die aufgenommen werden möchten. Sie kommen von nah und fern, aus der Stadt und umliegenden oder weitentfernten Dörfern.

Teilweise wollen auch Eltern ihre Kinder bei uns unterbringen, obwohl sie das Schulgeld und die Uniformen selbst bezahlen könnten; einfach weil sie sehen, dass die Kindern im Projekt eine gute Erziehung bekommen. Das geht aber nicht, da wir nur Kindern helfen, die in schwierigen sozialen Verhältnissen leben. Meistens sind es Halb- oder Vollwaisen.
Unsere Mädchen sind in der Stadt hoch angesehen, da sie sich vorbildlich benehmen und ihre Lehrer sind sehr zufrieden mit ihren Leistungen.
Die Eltern, Erziehungsberechtigten oder andere Angehörige kommen einmal pro Monat zu Besuch. Da gibt es dann eine große Aussprache und es werden Probleme besprochen.

Und ganz wichtig ist auch, dass, obwohl Dhyne sehr strikt ist, die Mädchen zu ihm sehr viel Vertrauen haben. Er wird von allen „papa“ genannt. Und er kümmert sich auch wie ein Vater um seine Kinder.